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Sicherheiten
Beanspruchung und Beanspruchbarkeit
Als Folge der im Abschnitt
3 „Allgemeiner Überblick über die Festigkeitslehre" beschriebenen
Sicherheitsrisiken, kann in einem Bemessungsquerschnitt eines Bauteils
die auftretende Beanspruchung größer und die vorhandene Beanspruchbarkeit
kleiner werden als in der statischen Berechnung angenommen wurde. Sind
die Abweichungen von den Berechnungswerten so groß, daß die
Beanspruchung größer als die Beanspruchbarkeit wird, versagt
der Querschnitt.
Für die weiteren Betrachtungen
nimmt man die Wahrscheinlichkeitstheorie zu Hilfe: An die Stelle der genügend
großen Sicherheit, daß die Beanspruchung S eines Querschnitts
größer wird als seine Beanspruchbarkeit R, tritt die genügend
kleine Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieses Ereignisses. Um diese Wahrscheinlichkeit
berechnen zu können, werden für die Bemessungsquerschnitte der
Bauwerke Häufigkeitskurven benötigt, welche die in der
Praxis auftretenden Streuungen von Beanspruchung und Beanspruchbarkeit
angeben (Normalverteilung). Bei jeder der beiden Häufigkeitskurven
steht ein Wert fest, welcher der weiteren Berechnung zugrundegelegt wird,
und zwar bei der Häufigkeitskurve der Beanspruchungen die 98%-Fraktile
S98% und bei der Häufigkeitskurve der Beanspruchbarkeiten die 5%-Fraktile
R5%. Bei einer Vielzahl gleichartiger Bauwerke ist dann infolge der unvermeidlichen
Sicherheitsrisiken in 98% der Bemessungsquerschnitte die wirklich vorhandene
Beanspruchung S kleiner und die wirklich vorhandene Beanspruchbarkeit R
größer als in der Berechnung angesetzt.
Zwischen der Fraktile S98%
und der Fraktile R5% muß ein Sicherheitsabstand liegen, da sich sonst
die Häufigkeitskurven überlappen würden und bei einem Teil
der Bemessungsquerschnitte die Beanspruchbarkeit kleiner wäre als
die Beanspruchung. Die Größe dieses Sicherheitsabstandes wird
mit Hilfe eines globalen Sicherheitsbeiwertes oder mehrerer Teilsicherheitsbeiwerte
festgelegt.
Weitere Einflüsse
auf die Größe der Sicherheitsbeiwerte
Die Baustoffestigkeiten,
die als charakteristische Widerstandsgrößen in die Berechnungen
eingehen oder als Grundlage für die Festsetzung der zulässigen
Spannungen dienen, werden an genormten Probekörpern in einem Kurzzeitversuch
ermittelt. Diese Tatsache führt dazu, daß die Sicherheitsbeiwerte
nicht nur die schon beschriebenen Risiken abdecken müssen, sondern
auch Einflüsse, die mit der Ermittlung der Baustoffestigkeiten zusammenhängen.
In diesem Zusammenhang ist
an erster Stelle zu nennen, daß die Festigkeit der Probekörper
nicht gleich der Festigkeit des Bauwerks ist. Differenzen zwischen den
beiden Festigkeiten ergeben sich zunächst aus den unterschiedlichen
Formen von Bauteilen und Probekörpern. So wird z.B. die Betondruckfestigkeit
an Zylindern oder Würfeln ermittelt, aber in den Formen der Bauteile
lassen sich eher schlanke Prismen als Zylinder oder Würfel erkennen.
Zylinder-, Prismen- und Würfelfestigkeit haben aber unterschiedliche
Größen, und Zylinder- und Prismenfestigkeit hängen von
den Verhältnissen der Höhen und Durchmesser bzw. der Längen,
Breiten und Höhen der Probekörper ab. Außerdem beeinflußt
die absolute Größe der Probekörper deren Festigkeit. Unterschiede
zwischen Probenfestigkeit und Bauteilfestigkeit können auch durch
Streuungen der Baustoffestigkeit bedingt sein, wie sie bei gewachsenem
Holz unvermeidlich sind oder im Betonbau durch ungleich sorgfältige
Verdichtung von Probekörpern und Bauwerk entstehen können.
Zweitens ist aufzuführen,
daß die statische Festigkeit im Kurzzeitversuch ermittelt wird, da
unsere Bauwerke Jahrzehnte überdauern sollen, kämen wir mit der
Dauerstandfestigkeit als Ausgangswert der Wirklichkeit näher. Wir
gehen trotzdem von der statischen Festigkeit aus, da sie wesentlich leichter
zu ermitteln ist, und berücksichtigen den Unterschied zwischen ihr
und der stets kleineren Dauerstandfestigkeit in der Größe des
Sicherheitsbeiwertes oder durch Zusatzfaktoren a (EC 2, Stahlbeton) oder
kmod (EC 5, Holzbau).
Drittens berücksichtigen
weder statische Festigkeit noch Dauerstandfestigkeit die Tatsache, daß
viele Bauwerke durch ,,nicht vorwiegend ruhende Lasten" beansprucht werden.
Auch das muß in den Sicherheitsbeiwert eingearbeitet werden, soweit
nicht Schwingbeiwerte, Stoß- oder Ausgleichszahlen diese Aufgabe
übernehmen (Nachweis der Betriebsfestigkeit).
Viertens ist festzustellen,
daß die Probekörper in den Prüfmaschinen auf eine klare,
einfache Art und Weise belastet werden: Der stählerne Probestab wird
in einer Richtung mittig gezogen, der Betonprobekörper in einer Richtung
mittig gedrückt. Aus diesem Grunde tritt in beiden Probekörpern
ein einachsiger Spannungszustand auf. Im Gegensatz dazu ergibt sich an
vielen Stellen der Bauwerke für den Baustoff eine zusammengesetzte
Beanspruchung: Normalspannungen wirken in zwei oder gar drei Richtungen.
Außerdem treten Schubspannungen auf. Es stellt sich dann die Frage,
wie groß unter diesen Umständen die Beanspruchbarkeit des Baustoffs
ist. Versuche und Überlegungen haben dazu geführt, daß
aus den Spannungen die an einem Element des zu bemessenden Baugliedes angreifen,
eine Vergleichsspannung zu errechnen und diese einer zulässigen Spannung
gegenüberzustellen ist (s. Abschnitt 4.6.8 Haupt- und Vergleichsspannungen/Spannungshypothesen
[Applet3]).
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