Diplomarbeit von Andrè Neubert, HTW-Dresden (FH), Fachbereich Bauingenieurwesen/Architektur, Studiengang Bauingenieurwesen 
 Thema: "Entwicklung einer Softwarekonzeption als Lehrhilfe für symbolische Darstellungen auf dem Gebiet der Festigkeitslehre"

Eindimensionale Bauteile

zzz
Statische Systeme

Bevor eine Dimensionierung der Bauteile eines Bauwerkes erfolgen kann, muß für das Tragwerk ein geeignetes und i.a. idealisiertes statisches System gefunden werden. Da Bauwerke aus verschiedenen Baustoffen hergestellt werden können, bedingen diese eventuell unterschiedliche Tragsysteme. Es ist jedem klar, daß z.B. Deckenplatten im Wohnungsbau nicht aus Stahl hergestellt werden sollten sondern aus Beton oder Holz. Die einzelnen Baustoffe bedingen somit bestimmte Grundsysteme, wie beispielsweise Platten oder Stäbe. Man unterteilt in der Praxis diesbezüglich die Tragsysteme in Flächentragwerke und Stabtragwerke. Des weiteren muß die Berechnungsgenauigkeit festgelegt werden. Hier kennt man die Theorie I. , II.  und III. Ordnung. Im allgemeinen reicht die Berechnung nach Th.I.O. aus, allerdings sind bestimmte Bauteile, oder auch das gesamte Bauwerk, häufig genauer nach Th.II.O. zu untersuchen. Die Th.III.O. findet in der praktischen Baustatik keine Anwendung. Möchte man ein Tragsystem möglichst hoch auslasten, so gibt es bei Baustoffen, welche ein ausgeprägtes plastisches Verformungsverhalten zeigen (z.B. Stahl), die Möglichkeit, sogenannte plastische Tragreserven zu nutzen. Die statische Berechnung ist dann mit Hilfe der Fließgelenktheorie durchzuführen. Nachdem die Wahl des statischen Systems getroffen wurde, muß ein geeignetes Berechnungsverfahren gewählt werden, mit dem anschließend die gesuchten Schnittgrößen ermittelt werden.   /5/
 

Stabtragwerke

Stabtragwerke bestehen aus einem oder aus mehreren Stäben. Man bezeichnet Balken hier auch als Stäbe. Ein Stab ist ein Körper, dessen Länge groß gegenüber seiner Breite und seiner Höhe ist (L > 4H und L > 4B). Er kann durch seine Längsachse (Schwerachse) idealisiert dargestellt werden . 
In der Baupraxis begegnen dem Ingenieur Stäbe in der Gestalt von Sparren, Holzbalken, Holzstützen, Walzprofilträgern, Stahlvollwandträgern, Stahlrohren, Stahlbetonstützen, Stahlbetonunterzügen uvm. Alle diese Stäbe sind grundsätzlich in der Lage, Zug- und Druckkräfte, Querkräfte, Biegemomente und Torsions- oder Drillmomente aufzunehmen. Es lassen sich nun aber, durch die Art der Anordnung und Verbindung der Stäbe sowie die Art der Einleitung der Lasten, Stabtragwerke entwickeln, bei denen die Biegesteifigkeit und die Drillsteifigkeit der Stäbe nicht benötigt wird. Ihr Element ist der Fachwerkstab, der nur Längskräfte (Zug oder Druck), aber keine Querkräfte, Biegemomente und Torsionsmomente aufnehmen kann; diese Tragwerke nennt man Fachwerke. Das Gegenstück zu den Fachwerken sind die Stabwerke oder Vollwandtragwerke. Die kennzeichnende Beanspruchung der Balken von Stabwerken ist das Biegemoment, außerdem können Längskräfte, Querkräfte und Torsionsmomente auftreten. 
Schließlich gibt es Stabwerke, deren einzelne Stäbe z.T. nur durch Längskräfte, z.T. aber durch eine beliebige Kombination von Längskräften, Querkräften, Biegemomenten und Torsionsmomenten beansprucht werden; diese Stabtragwerke werden gemischte Systeme genannt. 

Aus statischer Sicht unterscheidet man:

Ebene Stabtragwerke, deren Lasten in derselben Ebene wirken, in der sämtliche Stäbe des Tragwerks liegen. Bei ebenen Problemen treten in den Stäben keine Torsions- oder Drillmomente auf.  Es ist hier die ebene Statik anzuwenden.

Ebene Stabtragwerke mit räumlicher Belastung, d.h. Stabwerke, deren Stäbe zwar alle in einer Ebene liegen, bei denen jedoch mindestens die Wirkungslinie einer Last nicht in der Ebene des Tragwerks liegt. 

Räumliche Stabtragwerke, deren Stäbe nicht in einer Ebene liegen. Bei den letzte beiden Tragwerken ist die räumliche Statik anzuwenden. 

Alle Stabtragwerke, sind statisch bestimmte Systeme, insofern zu ihrer Berechnung als Hilfsmittel die Gleichgewichtsbedingungen: 

· Bei ebener Statik den drei Gleichgewichtsbedingungen SV=0, SH=0, SM=0; 
· Bei räumlicher Statik die sechs Gleichgewichtsbedingungen SX=0, SY=0, SZ=0, SMx=0, SMy=0, SMz=0 

verwendet werden können. Alle anderen Systeme sind als statisch unbestimmt anzusehen. 
 

Verformungsfälle wie Verschiebungen und Verdrehungen der Lager, Temperaturdehnungen sowie Schwinden des Betons verursachen in statisch bestimmten Systemen keine zusätzlichen Schnittgrößen. In statisch unbestimmten Systemen allerdings im allgemeinen immer. Um diese Systeme berechnen zu können, müssen Formänderungen und Steifigkeiten der Stäbe mit in die Betrachtungen einbezogen werden. 

Bei einer Reihe von Stabtragwerken ist es zweckmäßig und anschaulich, zwischen äußerer und innerer statischer Bestimmtheit oder Unbestimmtheit zu unterscheiden. Ein ebenes Stabtragwerk ist äußerlich statisch bestimmt oder es ist statisch bestimmt gelagert, wenn seine Stützgrößen mit Hilfe der drei Gleichgewichtsbedingungen 
SV = 0, SH = 0, SM = 0 ermittelt werden können. Ein ebenes Stabtragwerk ist statisch bestimmt gelagert oder es ist äußerlich statisch bestimmt, wenn es entweder eine feste Einspannung oder ein unverschiebliches und ein verschiebliches Kipplager besitzt. Diese Feststellung erfaßt allerdings nicht alle statisch bestimmt gelagerten Systeme. 
 
 

Theorie 1. Ordnung - Allgemeines

Nach Theorie I. Ordnung werden Stütz- und Schnittgrößen durch Gleichgewichtsbetrachtungen am unverformten System ermittelt. In Wirklichkeit treten jedoch bei allen belasteten Systemen Formänderungen (Verschiebungen und Verdrehungen) auf. Im allgemeinen sind diese aber so klein, daß eine Schnittgrößenumlagerung infolge Geometrieänderung keine nennenswerten Mehrbeanspruchungen zur Folge hätte. Solange diese Voraussetzung zutrifft und dies ist bei den in der Baupraxis vorkommenden Systemen überwiegend der Fall können wir mit der Theorie 1. Ordnung die Wirklichkeit befriedigend genau erfassen.
Es gibt jedoch einige Tragsysteme (z.B. schlanke und ausmittig belastete Stützen, schlanke Bögen und Rahmen), bei denen die Berücksichtigung der Verformungen erforderlich wird d.h. ein Gebot der Sicherheit ist, und andere (z. B. Hänge- und Seilkonstruktionen) bei denen die Berücksichtigung der Verformungen ein Gebot der Wirtschaftlichkeit werden kann. Dann ist die Theorie II. Ordnung anzuwenden, die auch als Spannungstheorie II. Ordnung oder als Verformungstheorie bezeichnet wird. Der allgemeine große Vorteil der Anwendung der Theorie I. Ordnung besteht in der generellen  Gültigkeit des  Superpositionsgesetzes. Wenn nämlich die geometrischen Größen des Systems unabhängig von den aufgebrachten Lasten die Gleichen bleiben, so sind die Beziehungen zwischen den statischen Größen linear.
 
 

Theorie II. Ordnung - Allgemeines

Die Berechnung nach der Verformungstheorie oder Spannungstheorie II. Ordnung oder kurz Theorie II. Ordnung ist die Berücksichtigung der Verformungen des Systems bei der Ermittlung der Stütz- und Schnittgrößen. Dies führt im allgemeinen zu nichtlinearen Beziehungen zwischen den Schnitt- und Verformungsgrößen und den äußeren Kräften des Tragwerks. Auch die Theorie II. Ordnung beruht in der Regel noch auf der Annahme, daß die Verformungen relativ klein im Verhältnis zu den Systemabmessungen sind. 
Anders bei der Theorie III. Ordnung, da werden die geometrischen Beziehungen nicht linearisiert, sondern genau eingeführt. Auf diese Weise können Systeme berechnet werden, deren Verformungen nicht mehr als klein gegenüber den Systemabmessungen angesehen werden können. 
Die Theorie II. Ordnung wird einerseits bei der genaueren Berechnung von empfindlichen Tragsystemen wie Hängebrücken und andererseits bei der Behandlung von Stabilitätsproblemen angewandt, die bei weitgespannten Bögen und sehr schlanken, ausmittig belasteten Stützen auftreten. 
Zur Entscheidung der Frage, ob die genauere Berechnung eines Tragsystems sinnvoll ist, dient der folgende wichtige Hinweis: ,,Die Anwendung der Theorie II. Ordnung ist nur dann erforderlich, wenn die Belastung im Tragwerk große Normalkräfte hervorruft, die infolge der auftretenden Verformungen „elastische Hebelarme" vorfinden und somit zusätzliche Schnittmomente ergeben. /6/
 
 
 

Fließgelenktheorie

Die Fließgelenktheorie ist eine spezielle Form der allgemeinen Plastizitätstheorie (Fließzonentheorie) und insbesondere anwendbar auf die im Stahlbau meist verwendeten DT-Querschnitte, jedoch auch zulässig für andere Profilformen. Bei ihr werden Stabbereiche, die über die Fließdehnung hinaus beansprucht werden, auf den Ort höchster Beanspruchung (dem Fließgelenk) konzentrieren und für die restlichen Stabbereiche elastisches Baustoffverhalten unterstellt. Der hierdurch bedingte Fehler in der statischen Berechnung beträgt für baupraktische Fälle nur wenige Prozent. Ausgenommen von dieser Berechnungsweise sind ungeeignete Systeme, die im wesentlichen extreme Abmessungsverhältnisse aufweisen. 

Die elastische Grenztragfähigkeit eines Querschnittes ist z.B. bei alleiniger Beanspruchung durch ein Biegemoment My erreicht, wenn die maximale Randspannung die Streckgrenze fy,k anliegt. Dabei weisen die Randfasern des Querschnittes Längsdehnungen von ca. 0,15 bis 0,2 % auf. Idealisiert man das tatsächliche Werkstoffgesetz (1. Vereinfachung auf der sicheren  Seite)  auf ein idealelastisch-idealplastisches Dehnungsgesetz, so erkennt man, daß größere Dehnungen der Randfasern, jedoch ohne Zunahme der Spannungen, möglich sind. Der Querschnitt beginnt zu plastizieren. 

Die Fließgelenktheorie wird an Systemen angewandt, bei denen die Normalkräfte einen vernachlässigbaren Einfluß auf den Gleichgewichtszustand ausüben, d.h. die Theorie I. Ordnung anwendbar ist. Bei diesen Systemen wird die (plastische) Grenztragfähigkeit erreicht, wenn das statische System eine solche Anzahl von Fließgelenken ausgebildet hat, daß eine kinematische Kette entsteht. Hierzu werden  die Gelenke wie Rutschkupplungen betrachtet. Der Stabzug hat offensichtlich seine Tragfähigkeit erreicht, wenn eine Kraft in allen Kupplungen die Gleitgrenze des Gelenkmomentes, erreicht hat. Die Momentenverteilung ist dann bekannt, und die Tragkraft kann aus einfachen Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden. 

Ein Fließgelenk kann einen Relativdrehwinkel, nur in begrenzter Größe ausführen, ohne daß das vollplastische Moment durch Beul- oder Kruppelerscheinungen absinkt. Die Relativdrehwinkel in den Fließgelenken können erforderlichenfalls mit der Arbeitsgleichung aus der plastischen Momentenverteilung bestimmt werden. Bei Anwendung des Reduktionssatzes der Baustatik (virtueller Kraftplan am statisch bestimmten System) muß in diesem Fall der Ort des sich zuletzt einstellenden Fließgelenkes bekannt sein. Für diesen Querschnitt wird elastisches Verhalten (Kontinuität) unterstellt; in allen anderen Fließgelenken dürfen beim virtuellen statischen System reibungsfreie Gelenke angenommen werden. Hierbei sollten bestimmte Bedingungen eingehalten sein. Systeme mit größeren Relativdrehwinkeln sind für die Berechnung nach der Fließgelenktheorie im Hinblick auf praktische Belange auszuschließen bzw. ungeeignet.   /8/
 

Übersicht über die Berechnungsverfahren

Um die Stütz- und Schnittgrößen statisch bestimmter Systeme zu ermitteln, genügt es, die Gleichgewichtsbedingungen anzuwenden. Formänderungen statisch bestimmter Systeme haben keinen Einfluß auf innere und äußere Kraftgrößen. 
Bei statisch unbestimmten Systemen sind Gleichgewichtsbetrachtungen allein für die Ermittlung der Stütz- und Schnittgrößen nicht ausreichend, es müssen auch Formänderungen in die Berechnungen einbezogen werden. Dafür stehen vier übliche Verfahren zur Verfügung: 
 

1. Die Differentialgleichungsmethode
Sie hat geringe praktische Bedeutung.

2. Das Kraftgrößenverfahren
Beim KGV können äußere und innere Kräfte sowie Momente als Unbekannte eingeführt und mit Hilfe von Formänderungsbedingungen, Verträglichkeitsbedingungen oder Elastizitätsgleichungen bestimmt werden. Dabei können die Einflüsse sämtlicher Schnittgrößen berücksichtigt werden, es ist aber auch möglich und in vielen Fällen zulässig, die Auswirkungen der Querkräfte oder der Quer- und Längskräfte zu vernachlässigen. 

3. Das Verschiebungsgrößenverfahren
Es wird auch als Weggrößenverfahren, Deformationsmethode oder Formänderungsgrößenverfahren bezeichnet. Der Name kommt daher, weil Verschiebungsgrößen, und zwar Knotenverschiebungen und -verdrehungen, als Unbekannte eingeführt werden. Zur Berechnung der Unbekannten werden Gleichgewichtsbedingungen aufgestellt. 
In seiner allgemeinen Form berücksichtigt das Verschiebungsgrößenverfahren die Verformungen infolge von Momenten, Längskräften und Querkräften. Wegen der Möglichkeit, es in Matrizenform darzustellen, ist es besonders gut für die Anwendung in programmgesteuerten Rechenanlagen geeignet. Eine Vereinfachung, die bei ebenen Problemen angewendet wird und gut für die Handrechnung geeignet ist, wird es Drehwinkelverfahren genannt. Bei ihm werden Längs- und Ouerkraftverformungen vernachlässigt, berücksichtigt wird also nur der Einfluß der Biegemomente. Ferner wird die gegenseitige Verschiebung von Knoten durch Stabdrehwinkel ausgedrückt. 
 

4. Die Methode der finiten Elemente (FEM)
Die Ermittlung der Schnittgrößen von Flächentragwerken wie Scheiben oder Schalen ist im allgemeinen in einer geschlossenen Lösung nicht möglich. Nur einfache Geometrien wie symmetrische Systeme und bestimmte Formen der Belastung sind einer analytischen Behandlung zugänglich. Daher wendet man bei beliebig geformten Flächentragwerken numerische Lösungsverfahren an. Ein solches Verfahren ist die Methode der finiten Elemente.  Bei dieser Methode wird das Tragwerk gedanklich in mehr oder weniger kleine endliche Teile aufgeteilt, die finiten Elemente. Das bedeutet eine physikalische Idealisierung des Tragwerks.  Bei Flächentragwerken sind diese Elemente i.a. Dreiecke oder Vierecke, bei Stabwerken und Fachwerken die Stäbe. An jedem Element müssen wie bei jedem brauchbaren Tragwerk die folgenden Bedingungen erfüllt sein: 
1.  Jedes Element muß sich im Gleichgewicht befinden (Gleichgewichtsbedingung). 
2. Die Verschiebungen und Dehnungen der Elemente müssen verträglich sein, d.h. es darf kein Klaffen oder Durchdringen erfolgen (geometrische oder kinematische Verträglichkeit). 
3. Die elastischen Dehnungen infolge der vorhandenen Spannungen erfolgen nach dem Material eigentümlichen Gesetz (Spannungs-Dehnungs-Gesetz, Werkstoffgesetz). 

Die Zahl der angenommenen Elemente bestimmt die Genauigkeit des Ergebnisses. Je größer die Zahl ist, je feiner das System eingeteilt wird, um so genauer ist das Ergebnis, um so größer ist aber auch der Rechenaufwand. Um genügend genaue Ergebnisse zu erzielen, ist vor allem in der Nähe von Einzelkräften oder von Unstetigkeiten in der Geometrie des Systems eine besonders feine Einteilung angebracht.
 
 
 

 

 © 2001 Andrè Neubert  -  Version 1.00 vom 30.06.2001